Als ich noch jung war und zu Hause wohnte, da gab es einen fast täglich zu beobachtenden festen Ritus bei uns zu Hause. Immer wenn ich nach Hause kam und versuchte, still und leise an den Eltern vorbei (es könnte ja Arbeit geben 😉 ) eine alte knarrende (sic!) Holztreppe zu erklimmen, erschallte aus der Küche der Ruf meiner Mutter: „Stefan, komm doch mal rein! Renn doch nicht gleich hoch!“ Manchmal fröhlich, manchmal auch etwas gestresst, ging ich dann zu meiner Mutter in der Erwartung eines Arbeitsauftrages. Nicht, dass ich das nicht gerne getan habe. Aber eine Pause, dass wollte ich schon noch, bevor es losging. Meist hatte dann aber meine Mutter bereits ein leckeres Essen gezaubert und verzehrfertig auf dem Tisch stehen. Einfach hinsetzen. Einfach essen. Einfach genießen. Einfach ausruhen. Einfach reden.
Und trotzdem war ich manchmal genervt, wenn der Ruf erschallte. Obwohl ich wusste, dass meine Mutter mich einfach aus Liebe sehen, mir einfach etwas Gutes tun wollte. Obwohl ich letztlich nicht nur wegen des Essens eigentlich gerne bei ihr saß und mich mit ihr unterhielt, sondern weil sie meine Mutter ist und ich ihr unendlich viel zu verdanken habe!
Aber als ich dann 2002 mit meiner Frau nach Bremen zog, da spürte ich plötzlich, dass mir da etwas fehlte. Dieser ausbleibende Ruf der Mutter (mein Vater war im Jahr des Umzugs heimgegangen), der löste in mir eine tiefe Sehnsucht aus. Ja, ich wartete regelrecht darauf. Aber er erklang nicht. Als ich mit dem Wasseranschluss nicht klarkam, da wollte ich meinen Vater anrufen – der war aber nicht mehr da.
Immer wenn ich diesen Vers lese, dann werde ich an diese Geschehnisse erinnert. Dann werde ich daran erinnert, dass ich nicht alleine bin, nicht alleine durchs Leben muss oder alleine Dinge zu bewältigen habe. Nein, so wie Hagar, die diesen Satz sagt, in der Einsamkeit der Wüste die Nähe Gottes und sein Rufen und seine Fürsorge erfahren durfte, so durfte auch ich durch meine Frau, Freunde und Kollegen ja Gott selbst Nähe, Ermutigung und Fürsorge erfahren. Gott sieht mich. Er sieht dich. Er sieht das Glück, dass du vielleicht gerade erlebst und freut sich mit Dir. Er sieht die Herausforderung, die du gerade zu bewältigen hast und will dich stärken. Er sieht die Trauer, die Sorge um einen lieben Menschen. Und er will dich trösten. Du strauchelst im Glauben, gehst einen falschen Weg. Gott sieht dich. Er ruft dich (wie Adam im Garten Eden nach dem Sündenfall): „Adam [Dein Name], wo bist du?“
In Psalm 139 wird das ebenfalls sehr herrlich dargestellt (Verse 2, 3 und 5):
„Ich sitze oder stehe auf, so weißt du es; du verstehst meine Gedanken von ferne. Ich gehe oder liege, so bist du um mich und siehst alle meine Wege. […] Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir.“
Ich weiß nicht, ob du gerade diese tiefe Sehnsucht in dir fühlst, dass dich jemand ruft, dir jemand zeigt, dass er sich für dich interessiert. Eines kann ich dir aber sagen: Wenn es so ist, dann lass dich von Gott rufen. So schön es auch ist, wenn Menschen dich rufen, so wie es meine Mutter immer getan hat. Aber auch das hat seine Zeit und hört auf, wenn diese Menschen nicht mehr sind. Gott, der, der ewig ist, hingegen ruft dich mit unaussprechlicher Liebe, Tag für Tag, Stunde um Stunde. ER hört nie damit auf. ER hat alles für dich bereitet. Du musst nur „Ja“ sagen und zu IHM gehen! Bei IHM gilt, wie bei meiner Mutter: Einfach hinsetzen. Einfach essen. Einfach genießen. Einfach ausruhen. Einfach reden.
In diesem Sinne wünschen wir Dir ein reich gesegnetes neues Jahr 2023, den Trost, die Freude und die Zuversicht in und auf unseren HERRN! Geh behütet durch das Jahr und lass dir zeigen, was er für dich bereithält.
Dein CVJM Niederndorf